Salafismus

Der islamistische Extremismus hat verschiedene Erscheinungsformen, je nach (u.a.) Ideologie, Praktiken, Zielsetzungen, und Kontext. In Deutschland und Österreich hat sich im letzten Jahrzehnt jedoch der Salafismus als dominante Strömung durchgesetzt, und ist mittlerweile eher zu einer jugendlichen Subkultur geworden (vgl. Abou-Taam 2012).

Vortrag von Claudia Dantschke zum politischen Salafismus.

Bei Salafismus “handelt [es] sich um Ausrichtungen an den angeblichen oder tatsächlichen Gesellschafts- und Religionsvorstellungen der Frühgeschichte des Islam, welche Abweichungen oder Neuerungen kaum beziehungsweise nicht zulassen. Demnach sollen die "heiligen Schriften" des Koran und der Sunna nicht neu interpretiert, sondern ahistorisch wortwörtlich genommen werden” (Pfahl-Traughber 2015).

Salafismus ist eine heterogene Bewegung bzw. Erscheinung mit verschiedenen Strömungen, die — vor allem aus strategischer Sicht — unterschiedlich agieren, jedoch ähnliche bzw. identische Ziele erreichen möchten: “eine Rückkehr zu den Ursprüngen des Islams, oder eine Purifizierung des Islams als eine Lösung für politische und soziale Probleme“ (Pisoiu 2017). Gewöhnlich wird zwischen drei Strömungen innerhalb des Salafismus unterschieden: Puristen, Politicos und Jihadisten. Diese Kategorisierung von Wiktorowicz (2006) ist jedoch nicht unumstritten. Mehrere WissenschaftlerInnen kritisieren die klare Unterscheidung zwischen den Strömungen, da Salafismus ein eher fluides Spektrum habe (Guhl 2021).

Jihad bedeutet wortwörtlich Bemühung bzw. Anstrengung. Der Jihadismus (auf Deutsch oft auch Dschihadismus) ist jedoch ein ”modernes, fundamentalistisches und transnationales Phänomen, in dem der Dschihad als bewaffneter Kampf verstanden wird und die Anwendung von Gewalt ein zentrales Element der Selbstdefinition ist.” (Pawelz et al. 2017) In der westlichen Welt wird der Begriff meistens für jihadistischen Salafismus verwendet, d.h. eine gewalttätige extremistische Strömung, die innerhalb des Salafismus zu verorten ist:

“Der dschihadistische Salafismus hat seine Wurzeln in einer extremistischen, partikularen, theologisch vormodernen Interpretation der islamischen Schriften. Dschihadistische Salafisten betrachten sich als die einzigen wahren Muslime und jene, die nicht wie sie sind, als Ungläubige“ (Pisoiu 2017).

Guido Steinberg zur Lage des Dschihadismus in Österreich (2021)

Guido Steinberg zur Lage des Dschihadismus in Deutschland (2021)

Beim Takfirismus “handelt es sich […] um die religiöse Rechtfertigung für die Abgrenzung der Jihadisten von ihrer Umwelt und den Kampf gegen die nominell islamischen Regime in der arabischen Welt” (Steinberg 2021) und zwar auf Basis einer ”Neuinterpretation des Konzepts von der »Loyalität (gegenüber Gott und den Muslimen) und der Lossagung (vom Unglauben und seinen Anhängern)« (al-wala’ wa-l-bara’)” (Steinberg 2021). Weiters ist für Takfiristen charakteristisch, dass “sie keine oder nur sehr wenige »Entschuldigungsgründe« (mawani’ at-takfir) für vermeintlichen Unglauben akzeptieren” (Steinberg 2021). “Takfiris erklären […] alle MuslimInnen, die nicht der eigenen Interpretation des Islam folgen, zu NichtmuslimInnen, wodurch für viele die Mehrheit der MuslimInnen zu ApostatInnen (Abtrünnigen) wird, die zu bekämpfen sind.” (Schmidinger 2016, S.13)

Weiterführende Literatur

Behnam T. Said, Hazim Fouad (Hg.) (2014): Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam
“Es besteht […] Bedarf nach einer ausführlicheren, wissenschaftlich fundierten Darstellung des Salafismus in deutscher Sprache, und dieser von Fouad und Said vorgelegte Band hilft hier nun in sehr erfreulicher Weise ab. Vorgestellt werden die rechtlichen und theologischen Grundlagen des Salafismus, die Erscheinungsformen in der islamischen Welt und in Europa und schließlich auch die Möglichkeiten eines wirksamen Umgangs mit ihnen. Die Autoren der Beiträge haben sich bemüht, die Texte möglichst auch einem Leserkreis zugänglich zu machen, der sich bisher noch nicht ausführlich mit diesen Themen beschäftigt hat.”

Coquelin/Ostwaldt, Demokratiezentrum Baden-Württemberg (2018): Handout Neosalafismus. Salafismus, Islamismus, Dschihadismus – Differenzierung tut not!

D.Y. Clement (2020): Der Begriff des Salafismus: Begriffskonstruktionen und theoretische Anordnungen. In: OKJA im Kontext des Salafismus. Soziale Arbeit und Radikalisierungsprävention.
“In jüngster Zeit wird der Begriff des Salafismus sowohl in der akademischen Debatte als auch in den Medien, in unterschiedlichen Handlungsfeldern der Sozialarbeit und in der sog. Präventions- und Deradikalisierungsarbeit verstärkt verwendet, um verschiedene zeitgenössische Manifestationen eines bestimmten (puristischen bis extremistischen) Islamismusverständnisses zu fassen. Der Terminus fungiert also als Sammelbegriff.”

Francesco Errico Bergoglio (2018): The Salafi Factions. Auseinandersetzung mit den verschiedenen Strömungen innerhalb des Salafismus.

Lohlker, R., El Hadad, A., Holtmann, P., & Prucha, N. (2016): Transnationale Aspekte von Salafismus und Dschihadismus. Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens-und Konfliktforschung (HSFK).   “Salafismus und Dschihadismus machen nicht Halt an nationalstaatlichen Grenzen. Der Report untersucht die Transnationalität dieser unterschiedlichen Phänomene anhand von drei Aspekten: Welche zentralen Akteure gibt es? Welche Rolle spielt die Sprache und die Vernetzung über das Internet? Er beschreibt Reisebewegungen beider Strömungen, u.a. die Ausreisewelle deutscher Dschihadisten nach Syrien und den Irak. Konkrete Handlungsempfehlungen schließen den Report ab.”

Wiktorowicz, Q. (2006): Anatomy of the Salafi Movement, Studies in Conflict & Terrorism, 29:207–239.  “The Salafi movement (often referred to as the Wahhabis) includes such diverse figures as Osama bin Laden and the Mufti of Saudi Arabia and reflects a broad array of positions regarding issues related to politics and violence. This article explains the sources of unity that connect violent extremists with nonviolent puritans. Although Salafis share a common religious creed, they differ over their assessment of contemporary problems and thus how this creed should be applied. Differences over contextual interpretation have produced three major Salafi factions: purists, politicos, and jihadis.”

Nedza, J. (2014): Salafismus–Überlegungen zur Schärfung einer Analysekategorie. Salafismus. Auf der Suche nach dem wahren Islam, 2, 80-105.
“In jüngster Zeit wird der Begriff «Salafismus» sowohl in der akademischen Debatte als auch in den Medien verstärkt verwendet, um damit verschiedene zeitgenössische Manifestationen eines bestimmten puritanischen Islamverständnisses zu fassen. Bei einem genaueren Blick wird allerdings recht schnell deutlich, dass bislang ein klares Verständnis des so bezeichneten Phänomens fehlt; dies wiederum resultiert dann in weiteren begrifflichen und auch inhaltlichen Schieflagen.”

Steinberg, G. (2021): Dschihadismus in Österreich – Eine gefährliche Szene mit großer ideologischer Stahlkraft. Konrad Adenauer Stiftung – Studienreihe “Islamistischer Terrorismus in Europa”, März.
“Am 2. November 2020 verübte ein Attentäter den ersten dschihadistischen Anschlag in Österreich. Er tötete vier und verletzte 23 Menschen in der Wiener Innenstadt, bevor er selbst von der Polizei erschossen wurde. Das Geschehen verdeutlicht, wie gefährlich der österreichische islamistische Terrorismus schon seit Jahren ist. In unserer Studie analysieren wir die aktuelle Gefahrenlage, die entsprechenden Bekämpfungsstrategien und die politische Debatte.”

Daveed Gartenstein-Ross, Emelie Chace-Donahue, Colin P. Clarke (2020): The Threat of Jihadist Terrorism in Germany 
“On April 15, 2020, German police arrested four suspected members of an Islamic State (ISIS) cell. All four men were Tajik nationals but appear to have been residents of North Rhine-Westphalia at the time of their arrest. They are suspected of joining ISIS in January 2019 and subsequently receiving orders from high-ranking ISIS members in Syria and Afghanistan to conduct attacks on targets in Germany, including US military bases and personnel. While the details available to investigators are continuing to trickle out into the p­­ublic sphere, the suspects do not appear to have travelled to join ISIS in the Syria-Iraq theatre. If these men did in fact receive orders from high levels of the ISIS organization despite never traveling to its “caliphate,” then these arrests yet again underscore ISIS’s sustained ability to plot attacks through its virtual plotter model, relying on ISIS supporters outside the conflict zone. One potential avenue for ISIS to plot attacks using this model is the population of German returnees.”

Pisoiu, Daniela (2021): Loser’s Jihad - The New Faces of Islamist Terrorism in Europe. Dieser Blogpost analysiert die Entwicklungen der letzten Jahren bezüglich des salafistisch-jihadistischen Terrorismus in Europa.

Hacker, E., & Pisoiu, D. (2020): Terrorismustrends: Jihadistische Propaganda auf sozialen Medien im deutschsprachigen Raum. Oiip.
“Soziale Medien spielen für Propagandazwecke eine entscheidende Rolle. Terroristische und extremistische Organisationen haben diesen Umstand längst erkannt und ihre Aktivitäten in diesem Bereich professionalisiert. Der vorliegende Text befasst sich mit der Online-Welt der Dschihad-Subkultur rund um den Wiener Attentäter und gibt einen Einblick in ihre Diskurse und Ästhetik. Mit dem Niedergang des Kalifats hat sich ein Großteil der Jihad-Aktivitäten des IS ins Internet verlagert. Auch das Projekt des Kalifats selbst entfernt sich langsam von der Realität eines „Staates“ und bekommt den Charakter einer Utopie. Das führt dazu, dass im Kontext der gesamten IS-Propaganda die Aktivitäten von Sympathisanten in Europa ein größeres Gewicht bekommen, auch wenn sich FTFs (foreign terrorist fighters) weiterhin vor Ort in Syrien und im Irak befinden. Das heißt auch, dass die Ereignisse in Europa und die Debatten, die hier geführt werden, stärker von der IS-Propaganda aufgegriffen werden. Gleichzeitig wird weiterhin Überzeugungsarbeit zum Zweck der Auswanderung und des Aufbaus des utopischen Staates geleistet. Die katastrophalen Zustände in den Gefangenenlagern werden zur Mobilisierung von Kämpfern instrumentalisiert. Nach Analyse der Online-Aktivitäten werden abschließend in einem Fazit konkrete Handlungsempfehlungen eruiert.”